Bürger retten Denkmale – Die katholische Pfarrkirche St. Karl Borromäus in Bühl-Neusatz

die katholische Pfarrkirche St. Karl Borromäus in Bühl-Neusatz

Hinter dem Gerüst: Huldigung der göttlichen Dreifaltigkeit durch Heilige. Borromäus präsentiert das Kirchengebäude.

Wuchtig wirkt die Pfarrkirche St. Borromäus. In idyllischer Lage thront sie auf einer Terrasse in den Hängen des Schwarzwalds über dem Dorf. Die graue, schnörkellose Fassade aus bossiertem Granitquaderwerk lässt sie trutzig und unnahbar erscheinen. Der seitlich platzierte Turm mit dem Staffelgiebel erinnert an einen Burgfried. Selbst wenn man weiß, dass diese Kirche gerade einmal vor etwas mehr als hundert Jahren erbaut wurde – auf den ersten Blick wirkt sie durchaus mittelalterlich. Ganz anders der Eindruck, wenn man hineingeht. Ein „überraschungsEi“, so hat sie ein Gemeindemitglied genannt. In der romanischen Schale steckt ein Gesamtkunstwerk in Jugendstil. Wandmalereien in wunderschönen Farben, Ornamente in geometrischen Formen, üppig mit floralen Mustern skulptierte Würfelkapitelle, ein dunkelblauer Sternenhimmel hinter dem Hochaltar.

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Abgerundet wurde die schwierigen Finanzierung von der Denkmalstiftung Baden-Württemberg mit 80.000 Euro.

Neues wagen: Jugendstil

Die Industrialisierung hatte ganz Europa in Aufbruchstimmung versetzt. Bahnhöfe, Kaufhäuser und Kraftwerke wurden gebaut und verlangten nach einer äußeren Form, die genauso modern war wie sie selbst. Man hatte genug von altdeutschen Wohnzimmern und dunkel gebeizter Eiche, von rückwärtsgewandten Neo-Stilen. Der Jugendstil mit seiner Lust am Ornament, an geschwungenen, fließenden Linien wurde zu einem ästhetischen Prinzip, das weit mehr war als bloße Dekoration: Die „Art Nouveau“ stellte Traditionen und Autoritäten in Frage und brachte frischen Wind in Kunst und Handwerk.

Zwischen Historismus und Moderne

Auch Johannes Schroth, der Architekt der Neusatzer Pfarrkirche, war von diesem Aufbruch in die Moderne begeistert. Als erzbischöflicher Oberbauinspektor aus Karlsruhe zeichnete er in Baden für mehrere Dutzend Sakralbauten verantwortlich, die zunächst alle dem Historismus verpflichtet waren. Hier hatte es ihm besonders die Romanik angetan, deren Formensprache er souverän beherrschte. Aber nie ging es ihm darum, die historischen Vorbilder einfach nur nachzubauen. Er war davon überzeugt, dass die katholische kirchliche Kunst mit der Zeit gehen solle, und machte sich daran, die historische Architektur mit der Gegenwart zu verbinden und sie der konkreten räumlichen Umgebung anzupassen. Für das Netzgewölbe über dem Langhaus der Kirche St. Jodokus in Ottenau verwendete Johannes Schroth Spannbeton und erreichte so eine bemerkenswerte Verbindung aus mittelalterlicher Architektur und moderner Bautechnik. In St. Bernard in der Weststadt von Baden-Baden und in St. Georg in Hockenheim baute er ganze Kirchen im Jugendstil.

Als Schroth auch die Kirche in Neusatz zumindest im Innenraum mit Jugendstilelementen ausstatten wollte, brachte ihm das einigen Ärger seitens des Freiburger Ordinariats ein. In der katholischen Kirche war zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Architektursprache des Mittelalters praktisch alternativlos. Der Jugendstil schien überhaupt nicht geeignet, Größe und Bedeutung der Kirche angemessen zu vermitteln. Johannes Schroth versprach, eine „ganz schlichte Kirche in romanischer Form“ bauen zu wollen – und schuf ein echtes Meisterwerk aus Neuromanik und Jugendstil, das Tradition und Aufbruch perfekt verbindet.

Hinter dem Gerüst: Huldigung der göttlichen Dreifaltigkeit durch Heilige. Borromäus präsentiert das Kirchengebäude.
Hinter dem Gerüst: Huldigung der göttlichen Dreifaltigkeit durch Heilige. Borromäus präsentiert das Kirchengebäude.

Kirchenmaler Josef Wagenbrenner

Bis auf den Staffelgiebelturm erfüllt die Kirche alle Merkmale des romanischen Kirchenbaus. Von außen ist die Struktur im Innern nicht zu sehen, auch das ist typisch für die Bauweise des Hochmittelalters. Wer über die Treppenanlage zum großen Rundbogenportal mit dem Herz-Jesu-Glasmosaik darüber emporsteigt, steht vor der Giebelfassade eines dreischiffigen Baus und genießt eine wundervolle Aussicht in die Oberrheinebene und ins Elsass.

Innen tragen Arkaden mit Rundpfeilern und Würfelkapitellen die mächtige Tonnendecke des Langhauses, der Chor wird durch ein großes Portal abgetrennt. Der Chorbogen wurde vom renommierten Kirchenmaler Josef Wagenbrenner (1880–1953) mit einem prächtigen Gemälde ausgestattet, das die Heilige Dreifaltigkeit zeigt. Die Seitenwände zeigen die 14 Nothelfer – populäres Motiv und kleines Zugeständnis an die Traditionen des Volksglaubens in einer Dorfkirche. Die geometrische Gestaltung des Tonnengewölbes und die kreisförmigen Ornamente in den Jochen sprechen ebenso die Formensprache des Jugendstils wie der Hochaltar mit einer vollplastischen Darstellung des Abendmahls.

Dem „Bildersturm“ entgangen

Die gesamte Ausstattung und Ausmalung aus der Erbauungszeit hat sich bis auf den heutigen Tag erhalten. Das ist überhaupt nicht selbstverständlich, denn vor allem in den beiden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg rückte man den als kitschig und überladen empfundenen Jugendstilbemalungen gerne mit großen Eimern weißer Tünche zu Leibe. Dieser puristische „Bildersturm“ legte sich erst in den 1970er Jahren. Mittlerweile gibt es nur noch sehr wenige gut erhaltene Jugendstilkirchen, und die Verbindung von Jugendstil und Historismus, wie sie in St. Borromäus realisiert wurde, ist einzigartig.

Eindrucksvolles Gesamtkunstwerk: der Hochaltar mit Sternenhimmel.
Eindrucksvolles Gesamtkunstwerk: der Hochaltar mit Sternenhimmel.

Der Feuchtigkeit ausgesetzt

Vor diesem Hintergrund erschien es im Rahmen der nach über 100 Jahren fälligen Renovierung geboten, die wertvolle Innenausstattung zu sichern und zu schützen. Mittlerweile litt die Kirche unter einem massiven Feuchtigkeitsproblem. Die Regenrinnen waren viel zu klein und nicht optimal angeordnet. Auf diese Weise gelangte Regenwasser in die Mauerkrone und durchfeuchtete die Wände. Zudem transportierte das Regenwasser Salze in das Porensystem der Malschichten. Salze und Feuchtigkeitseintrag hatten die Malereien Wagenbrenners beschädigt, und Altäre und Orgel waren von Schimmel befallen.

Nicht unbedingt christliche Ikonografie bietet ein Mosaik mit fantastischem Vogelpaar.
Nicht unbedingt christliche Ikonografie bietet ein Mosaik mit fantastischem Vogelpaar.

Um die Feuchtigkeit aus den Wänden zu bekommen, musste die Mauerkrone dauerhaft abgedichtet werden. Dabei wurden sämtliche Dachrinnen, Rinnenabläufe, Kehlbleche etc. durch kupferne ersetzt. Dafür musste die Kirche komplett eingerüstet werden. Das machte gleichzeitig eine Dachneueindeckung mit Biberschwanzziegeln möglich sowie eine Holzschutzbehandlung und Maßnahmen zum Tauben- und Blitzschutz. Schadhafte Fugen im Mauerwerk wurden ausgebessert und kaputte Holzteile im Dachstuhl erneuert.

Alte Substanz in neuem Glanz

In einem zweiten Bauabschnitt widmet man sich zurzeit der Innenrenovierung. Die gesamte Innenschale wird mit speziellen Trockenschwämmen gereinigt, die geschädigten Putz- und Malschichtflächen geschlossen, retuschiert und nach dem Vorbild wieder ergänzt. Die oberflächennahen Salze in den Malereien werden mit Kompressen reduziert. Sämtliche Ausstattungsgegenstände werden restauratorisch gereinigt und retuschiert. Damit schließlich alles im schönsten Glanz erstrahlen kann, reinigt man zum Abschluss der Arbeiten sämtliche Fenster.

Dieser rührende Engel stützt die Säule und erinnert an eine Karyatide oder gar an Atlas.
Dieser rührende Engel stützt die Säule und erinnert an eine Karyatide oder gar an Atlas.

 

Wer soll das bezahlen?

Für die gesamten Renovierungsarbeiten sind rund eine Million Euro einkalkuliert, dabei entfallen jeweils die Hälfte auf die Außen- und die Innenrenovation. Die Kirchengemeinde gründete eine Fundraising-Gruppe, die eine Menge kreativer Ideen entwickelte, um die erforderliche Spendensumme von 90.000 Euro aufzutreiben.

Bei den Plänen für die Renovation machte die Kirchengemeinde keine Experimente. Erhalten und bewahren war die Devise, niemand dachte daran, das historistische Gebäude mit Jugendstilelementen zu modernisieren oder umzubauen. Im Mai 2021 stufte der Bund die Pfarrkirche als bedeutsames Kulturdenkmal ein. Ein Denkmalschutz-Sonderprogramm bezuschusste deshalb die Renovation mit 170.000 Euro. Vom Landesdenkmalamt gab es noch einmal 90.000 Euro. Das Ordinariat finanzierte die Renovation mit insgesamt 490.000 Euro, davon mehr als die Hälfte ein Darlehen. Abgerundet wurde die schwierigen Finanzierung von der Denkmalstiftung Baden-Württemberg mit 80.000 Euro.

Ein Symbol für den Wandel

Die Renovierung verlief im Rekordtempo. Die Gemeinde startete im Juli 2021 und konnte das schöne Wetter für eine rasche Neueindeckung des Dachs nutzen. Bereits ein Jahr später war die Außenrenovierung abgeschlossen, nur am Glasmosaik wird noch gearbeitet. Am 24. Juli 2022 feierte die Gemeinde einen Abschiedsgottesdienst, dann wurden die Bänke ausgebaut und der komplette Innenraum eingerüstet. Die Innenrenovierung ist in vollem Gang. In dieser Zeit mit ihren vielen Kirchenaustritten hat die Sanierung der Pfarrkirche St. Borromäus einen nahezu symbolischen Charakter. Sie erinnert daran, dass der Aufbruch, den der erzbischöfliche Oberbauinspektor Johannes Schroth vor über hundert Jahren mit seiner mutigen Verbindung aus Neoromanik und Jugendstil markiert hatte, sich noch längst nicht erledigt hat.