Paul Bonatz (1877-1956)

Weg zur Moderne

Schwankend ist, frei nach Schillers „Wallenstein”, das Charakterbild unseres Architekten in die Geschichte eingegangen. So, wie er denn auch als Baukünstler zwischen Historismus und Moderne steht. Seine herrschaftlich-traditionaIistischen Bürgervillen in Stuttgarts Halbhöhenlage etwa kontrastieren heftig mit seiner Staustufe Bad Cannstatt unten im Neckartal, wo er sich des formalen Kanons der Neuen Sachlichkeit mit überraschender Könnerschaft bedient. Doch dies „Neue Bauen” wiederum lehnt er bei der Stuttgarter Weißenhofsiedlung kategorisch ab, die er dann sogar als „Vorstadt Jerusalems” verunglimpft. Doch bald darauf bringt er wieder die Größe zur Bewunderung auf: “Die gegliederten Kuben ergeben malerische Überschneidungen.” Eine Beobachtung, aus der allein schon erhellt, daß er Architektur ganz wesentlich auch körperhaft, als Skulptur begriff. Paul Bonatz, der Baukünstler, wurde 1877 im lothringischen Solgne geboren, wuchs im Elsass heran und machte 1900 (mit 23!) sein Architekturdiplom in München. Noch im selben Jahr trat er dort ins Baubüro Theodor Fischers ein. Der geistige Vater so vieler Modernisten und Traditionalisten sollte auch die prägende Figur für Bonatz werden, wie Stuttgart seine bestimmende Stadt: 1902 ruft ihn Fischer als Assistenten zu sich an die TH Stuttgart, wo er ihm 1908 auf dem Lehrstuhl nachfolgt. 1911 gewinnt Bonatz mit seinem Partner F. E. Schaler den Wettbewerb für den Stuttgarter Hauptbahnhof, an dem dann 17 Jahre gebaut wird.
Während des Dritten Reichs ist er vor allem als Brückenbauer und Berater beim Autobahnbau gefragt, wobei ihm eine für die Entstehungszeit 1938-1941 geradezu sensationell modernistische Autobahnhängebrücke bei Köln-Rodenkirchen gelingt. Vor den Nachstellungen der NS-Machthaber rettet er sich in die Türkei, wo er seit 1943 als Berater und von 1946-1954 schließlich als Entwurfsprofessor in Istanbul wirkt. 1947/48 baut er in einem verschlankten spät-neoklassizistischen Stil die Staatsoper Ankara um. 1956 stirbt er in Stuttgart.

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