Ernst Otto Osswald (1880–1960)
Ein Wurf!
Sein Hauptwerk ragt 61 Meter aus der Talsohle heraus und ist eines der signifikantesten Gebäude seiner Heimatstadt Stuttgart. Nur, so bekannt der Tagblatt-Turm aus mehrerlei Gründen auch sein mag, so wenig weiß man über seinen „Erfinder“. Und wenn man über ihn nachforscht, kommt man doch immer wieder nur auf dies Stadtzeichen.
Ernst Otto Osswald wurde am 27. Februar 1880 mitten im Stuttgarter Westen, an der Ecke Schwab-/Elisabethenstraße geboren. Sein Vater stammte aus Oßweil bei Ludwigsburg; er war Bauer und gelernter Bauhandwerker. Den Sohn schickte er erst in eine Steinmetzlehre und dann auf die Stuttgarter Staatsbauschule, der Konkurrenz zur Architekturabteilung an der TH. Der Tagblatt-Turm ist ganz offensichtlich Osswalds einzige bauliche Genietat. Seine wenigen Wohnhäuser, bezeichnenderweise vor allem im Stuttgarter Westen, erfüllen die Maßgaben der Stuttgarter Schule – grundsolide Handwerklichkeit halt. Nun aber der „Wolkenkratzer für den republikanischen Zeitungsleser“, wie man den Tagblatt-Turm zur Entstehungszeit nannte: Er geht auf einen Wettbewerb zurück, an dem sich auch drei „Platzhirsche“ der Stuttgarter Schule, Paul Bonatz, Hugo Keuerleber und Heinz Wetzel beteiligten. Osswalds Entwurf wurde den anderen vorgezogen und als so gelungen wie fortschrittlich erkannt. Vor allem passte er idealtypisch zu den Vorstellungen des Auftraggebers, dem ebenfalls fortschrittlichen, linksliberalen Stuttgarter „Neuen Tagblatt“, dessen damaliger Chefredakteur Karl Brackmann Osswalds Turm mit den Worten rühmte, dass der Stuttgarter nun willens sei, „freier über den Kranz seiner Berge hinwegzusehen“.
Osswalds Werk, zwischen 1924 und 1928 entstanden, war in zweierlei Weise revolutionär: Als das erste Stahlbeton-Hochhaus Deutschlands und gar als erstes Sichtbeton-Hochhaus der Welt. Zusammen mit dem gegenüberliegenden und 1960 abgerissenen „Kaufhaus Schocken“ Erich Mendelsohns ein weithin beachtetes Ensemble des Neuen Bauens in ganz Deutschland.
(Denkmalstimme_2_2009)