Geschlechterturm (Wohnturm)
Diese mittelalterliche Vorform des Hochhauses entsteht im 10. Jahrhundert, vor allem in norditalienischen Städten wie Bologna, Florenz, St.Gimignano oder Siena. Dort waren Geschlechtertürme die herausragenden Wohn-Orte des städtischen Patriziats, das mit der Höhe regelrecht wetteiferte.
Anfänglich aus Holz, setzt sich im Lauf des 11. Jahrhunderts der Steinturm durch, meist mit rechteckigem, oft auch mit quadratischem und seltener mit rundem Grundriss. Es kommt zu respektablen Ausmaßen von hundert Quadratmetern Grundfläche und zwei Metern Mauerstärke. Während des Hochmittelalters entwickelt sich diese Bauform immer weiter nach oben, bis sie schließlich auf vier Stockwerke emporgewachsen ist. Meist waren drei davon bewohnt. Im unteren Geschoss gab es Platz für Lebensmittelvorräte und die Küche. Darüber lag dann vielfach die „Bel etage“ mit dem repräsentativen Wohnbereich, der, wenn er nicht durch Wände getrennt war, innerer Prachtentfaltung diente, etwa als großer Festsaal.
In den nächsten Stockwerken entstanden kleinere, oft parzellierte Wohnbereiche, manchmal mit Bohlenstuben. Die förmliche Bekrönung bildete zuweilen ein Zinnenkranz. Erschlossen war ein solcher Turm meist über hölzerne Außentreppen oder Leitern, die man ins Haus ziehen konnte. Typologisch ist so ein Geschlechterturm halb Palas, halb Bergfried.
Im Gebiet des heutigen Deutschland war Regensburg die Stadt der Geschlechtertürme. Von den ursprünglich 40 sind dort noch 20 erhalten. In Württemberg ist Esslingen zu nennen, wo von ehedem sieben Geschlechtertürmen wenigstens am Hafenmarkt 9 das „Gelbe Haus“ unversehrt überdauert hat, ein spätromanischer Bau mit vier Stockwerken über quadratischem Grundriss, entstanden um 1260. Ein Musterbeispiel auch der um 1200 gebaute Rote Turm am Ostrand von Bad Wimpfens Kaiserpfalz.
(Denkmalstimme_4_2009)