Lisene

Der Pilaster ragt als Pfeiler aus der Wand, hat einen eigenen Fuß und zur Decke hin ein abschließendes Kapitell. So bildet er eine eigenständige Wandverzierung. Hingegen taugt die Lisene eher nur zur vertikalen Wandstrukturierung. Im Gegensatz zum Pilaster hat sie weder Kopf noch Fuß. Vom französischen „la lisière“ abgeleitet (Kante, Rand, Saum), ist die Lisene so lediglich ein dezenter Vortritt aus der Wand zur vertikalen Gliederung. Ein leiser Vortritt nur, aber mit erstaunlicher Wirkung zur Vermeidung des horror vacui: Eine flache, leere Wand lässt sich nun aufs Erstaunlichste gliedern, meisterhaft schon exemplifiziert beim romanischen Dom, als man die leicht hervortretenden Wandvorsprünge mit Arkadenbögen verband.

Mit einfachsten ästhetischen Mitteln entstand so eine enorme Fassadenlebendigkeit, vollends, wenn die Lisenen mit flachen, womöglich lasierten Backsteinen gemauert waren. Lisenen taugten dabei auch zur Pointierung von Gebäudeecken. Im gotischen Kirchenbau mit seinem Überschwang an skulpturaler Fassadenzier (Krabben, Kreuzblumen, alle Arten von Maßwerk, Wimperge und Fialen) wären Lisenen förmlich untergegangen. Allerdings gibt es auch die Auffassung, die Strebepfeiler an den gotischen Domen wären sozusagen die Weiterentwicklung des romanischen Lisenengedankens.

In der Renaissance scheint die Lisene vergessen, in Barock und Klassizismus findet man sie vor allem als Ausstattungselement wieder, manchmal auch mit kapitellartigen Abschlüssen zur Decke hin. Als überall zitiertes Musterbeispiel für Lisenen in der klassischen Moderne gilt Fritz Högers Hamburger Chilehaus (1922/23), bei dem die Lisenen dem ohnehin aufstrebenden Gebäude eine zusätzliche Grazie geben.

(Denkmalstimme_2_2016)

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