Karyatide
Karyatiden gehören zur Familie der Atlanten, sind also skulpturale Menschenfiguren, die in stützender Funktion Fassaden beleben.
Atlanten stemmen dabei Architrave, Balkone oder Erker mit nackten, athletischen Oberkörpern und imposanten Muskeln. Wilde Burschen, die scheinbar ständig arbeiten müssen – aus Rache. Galten sie doch in der Antike als Sinnbilder unterdrückter Feinde.
Das denkbare Gegenteil: Die Karyatiden, junge Mädchen, züchtig und zahm, die Körper stets durch lange Kleider verhüllt. Man vermutet ihren Ursprung bei griechischen Tänzerinnen aus Karyä. Auf dem Kopf tragen Karyatiden oft eine Art kreisrund geflochtenes Polster, das in der Wirklichkeit das Korbtragen erleichterte. Im Griechischen heißen Karyatiden deshalb auch Kanephoren, „Korbträgerinnen“.
Bei den Figuren „am Bau“ lagert auf diesen Kopfpolstern die horizontale Baulast, meist auch hier der Architrav. Die berühmtesten Karyatiden stehen seit dem 4. Jahrhundert v.Chr. auf der Akropolis in Athen in der so genannten Korenhalle des Erechtheion; hier sind die steinernen Mädchen vollplastisch als figürliche Säulen ausgebildet.
In unseren Breiten waren Karyatiden von der Renaissance bis zum späten Historismus meist als Halb- oder Flachrelief ausgebildet. In der griechischen Baukunst galt die schlanke Frauenfigur der Karyatide als ionisch, also athenisch, der martialisch muskulöse Atlant indes als dorisch, spartanisch.
Karyatiden finden sich hierzulande nur noch selten. Die bekanntesten im Land beleben die Fassade des Ottheinrichsbaus im Heidelberger Schloss. Karyatiden aus den Tagen des Historismus sind vielfach Purifizierungsmaßnahmen nach 1945 zum Opfer gefallen. An Möbeln des 19. Jahrhunderts sieht man sie allerdings noch oft als Zierform.
Und auch im Stuttgarter Lapidarium, einem innerstädtischen Skulpturengarten, haben einige überlebt. Die Karyatide auf unserem Bild ist ein 2006 saniertes Stück vom Wertheimer Eichelhofschlösschen aus der Zeit um 1820, das noch eher rokokohaft frivol anmutet.
(Denkmalstimme_3_2014)